48/2020 Von einem, der auszog und eine neue Heimat fand – im Stuckateurhandwerk

Essen, August 2020. Jawid Naseri freut sich über den grünen Werkzeugkoffer, den er für Bestleistungen in Schule und Ausbildung erhielt. Damit zählt er zu den deutschlandweit besten Azubis im Stuckateurhandwerk, die von der gemeinnützigen Sto-Stiftung ausgezeichnet werden. Seit 3. Juli hält er den Gesellenbrief in den Händen; Freunde, Kollegen und Familie freuen sich mit ihm. „Meine Mama ist so glücklich und stolz auf mich“, berichtet er, der den Kontakt zu seinen Lieben in der Heimat via Skype hält.

Unter dem Motto „Du hast es drauf – zeig's uns!“ engagiert sich die gemeinnützige Sto-Stiftung bereits seit Jahren für Auszubildende des Stuckateurhandwerks mit sozialem oder wirtschaftlichem Förderbedarf. Ausgestattet mit dem Koffer sind die Azubis bestens für eine erfolgreiche Gesellenprüfung vorbereitet. Das findet auch Konrad Richter, Stiftungsrat Handwerk der Sto-Stiftung. „Junge Menschen brauchen Anerkennung und Motivation für gute Leistungen. Karriere im Handwerk ist für viele oft erst auf den zweiten Blick interessant. Aber es stehen so viele Wege offen – vom Fachschulstudium inklusive Meisterbrief bis zur Hochschule. Wir unterstützen sie mit unserem Konzept der Bildungspyramide. Der erste Schritt sind die grünen Werkzeugkoffer“, erklärt Richter.

Jawid Naseri hat bereits einen weiten Weg hinter sich. Der 22-jährige gehört zu den Menschen, die 2015 ihre Heimat verließen, um in Deutschland ihr Glück zu suchen. Aufgewachsen in einem Dorf im Distrikt Dschaghuri, der zur Provinz Ghazni gehört, lag er seiner Mutter schon als kleiner Junge in den Ohren mit seinem Wunsch, in die Welt zu ziehen. Als er neun Jahre alt war, gab die Mutter nach und ihn nach Kabul zur Tante. Deren Mann besaß eine kleine Schneiderei, in der er aushalf und nebenbei intensiv Englischkurse besuchte.

Auf den Weg gemacht

Mit 16 verließ Jawid die Stadt Kabul und machte sich auf die abenteuerliche Reise voller Gefahren Richtung Europa: mit dem Flieger in die Türkei, von dort auf einem kleinen Boot nach Griechenland, weiter mit dem Frachtschiff – als blinder Passagier – nach Italien. Dann per Bahn nach Frankreich. Er erinnert sich noch genau an den Preis des Zugtickets von dort nach Frankfurt/M. über 124 Euro. Bei der Kontrolle im Zug konnte er keine gültigen Papiere vorweisen und wurde in eine Sammelunterkunft in Saarbrücken gebracht, wo er die ersten Monate in Deutschland erlebte. Der Stuckateurgeselle erinnert sich: „Das war eine schwere Zeit, ohne Kontakt zur Familie oder zur Außenwelt, ohne Verständigung wegen der fehlenden Sprachkenntnisse.“ In Saarbrücken wurde er eingeschult, besuchte die 9. Klasse, wenig erfolgreich, wie er sagt, vor allem wegen der Sprachprobleme. Ein Jahr später wechselte er in ein sogenanntes Berufsgrundbildungsjahr. Das gibt Schulabgängern, die keine reguläre Lehrstelle gefunden haben, die Möglichkeit ein staatliches Ausbildungsjahr bzw. berufsvorbereitendes Jahr auf einer Berufsschule zu absolvieren. Diese beendete Jawid als Jahrgangsbester mit dem Hauptschulabschluss.

Vom Schulbankdrücken noch nicht genug

Nachdem er seinen ursprünglichen Plan, das Schneiderhandwerk zu erlernen, aufgegeben hatte, bekam er in einem Stuckateurbetrieb in Saarlouis die Chance, zwei Wochen zur Probe zu arbeiten. Chef Holger Hilt war äußerst angetan von dem wissbegierigen und fleißigen jungen Mann und bot ihm einen Ausbildungsplatz an. Er ist stolz auf die guten Ergebnisse, die sein Azubi erreicht hat, und will ihn nicht mehr missen: „Jawid passt gut zu uns, er bereichert das Team. Wer aufrichtig, zuverlässig, motiviert ist und wie er über das richtige Fingerspitzengefühl verfügt, ist bei uns goldrichtig“, sagt Holger Hilt über den frischgebackenen Gesellen. Seine Bewunderung und die der Kollegen gilt Jawid auch dafür, wie zielstrebig er sich in Deutschland, ohne familiären Hintergrund, ein Leben aufgebaut hat. „Die Auszeichnung der Sto-Stiftung freut uns als Team und spornt junge Menschen an, Hürden zu nehmen und ihren Weg zu machen“, so die Einschätzung Hilts, der einst als 21-jähriger jüngster Stuckateurmeister im Saarland war. Jawid selbst spricht von seinem Chef und den Kollegen in den höchsten Tönen: „Die sind alle toll, so etwas gibt es bestimmt nicht oft. Jetzt werde ich Berufserfahrung in meinem Team sammeln und dann auf jeden Fall den Meister machen.“ Das ist sicher einer der Gründe, warum Jawid sich mittlerweile in Deutschland zuhause und angekommen fühlt und das anfänglich starke Heimweh ihm nicht mehr so zu schaffen macht. Allerdings vermisst er nach wie vor afghanisches Essen, etwa seine Lieblingsspeise Ashak, gefüllte Teigtaschen mit Yoghurtdip.

Angekommen

Die kann er jetzt selbst zubereiten in seiner ersten eigenen Wohnung in einer kleinen Gemeinde im Landkreis Saarlouis, in die er mit Beginn der Ausbildung einzog. Jawid sagt von sich, er sei gut integriert, die Nachbarn freundlich und aufgeschlossen. Zum Freundeskreis gehören ehemalige Mitschüler aus dem BGJ ebenso wie Kumpels aus dem Fußball- oder Volleyballverein, dem er angehört. Der Stuckateurgeselle schaut optimistisch in die Zukunft und will seine beruflichen Pläne zielstrebig weiterverfolgen. Mit der Unterstützung von Kollegen und Chef Holger Hilt jedenfalls kann Jawid rechnen.

Weitere Infos unter: www.sto-stiftung.de

Infos rund um die Bildungspyramide: https://www.sto-stiftung.de/media/dokumente/2018_2/Sto-Stiftung_Bildungspyramide_2018.pdf

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